Wie kann man eigentlich in Deutschland noch Abenteuer erleben?
Eigentlich wollten wir ja mit unserem aufblasbaren Kanadier zur Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern, die wir zumindest vom Hörensagen kannten. Beim Recherchieren lernen wir als erstes, das es nordöstlich von Berlin eine Großseen- und eine Kleinseenplatte gibt. Aber durch die Nachwirkungen der Coronakrise gibt es noch ziemliche Probleme bei den geplanten Übernachtungsplätzen mit Reduktion der Kapazitäten, obligatorischer Voranmeldung oder anderen Einschränkungen – abgesehen davon, dass sowieso fast alles ausgebucht ist bzw. wir gar keine Rückmeldung erhalten.
Durch einen befreundeten Paddler werden wir auf eine klassische Paddeltour in Brandenburg, dem gewässerreichsten Bundesland, aufmerksam. Die Märkische Umfahrt ist eine 180 km lange Rundtour auf den Flüssen Spree und Dahme, vielen Seen und einigen Kanalabschnitten südöstlich von Berlin. Normalerweise braucht man dafür 10 Tage und übernachtet meist auf Wasserwanderrastplätzen, auf denen keine Voranmeldung nötig ist.
Deshalb entscheiden wir uns für diese Tour, die noch dazu die schönste und längste in Deutschland sein soll. Zuvor haben wir unser Boot zu Hause schon mal probehalber aufgebaut und testen, wie wir unser ganzes Gepäck für autarkes Paddeln mit vier Personen verstauen können – eine echte Herausforderung. Das Boot wird jedenfalls ganz schön voll und schwer – und deshalb ist unser neuer kleiner Elektro-Hilfsmotor eine gute Unterstützung. Wir merken das vor allem auf den vielen Seen mit starkem Wind und größeren Wellen.
Allerdings müssen wir dazu unseren Akku zwischendurch auch wieder aufladen. Das klappt meistens, aber dafür können wir eben keine Biwakplätze ohne Strom anfahren. Manche dieser Rastplätze haben auch kein Wasser oder sogar nicht mal eine Toilette. Jedenfalls lernen wir das volle Spektrum zwischen komfortablem Campingplatz mit Gaststätte bis zur Biwakwiese ohne alles kennen.
Genauso abwechslungsreich sind die Gewässer selbst: große Seen mit viel Bootsverkehr, breite Kanäle mit Lastkähnen, bebaute Ufer mit vielen Villen und luxurösen Yachten oder schmale stark mäandernde Flüsschen im Naturschutzgebiet, in denen keine Motorboote erlaubt sind. Auf der gewundenen Müggelspree genießen wir die landschaftliche Schönheit, das Tierleben und das intensive Grün. Allerdings sind hier aber auch im gesamten Flussbett viele Schlingpflanzen, in denen sich unser Motor öfters verhakt, sodass wir eine komplette Tagestour ganz ohne Motor paddeln.
Auch die zehn Schleusen sind sehr unterschiedlich: Schleusen mit Personal, Selbstbedienungsschleusen mit manuellem Drehen und Schieben oder automatische Schleusen mit Digitalanzeige. Dazu kommen vier nicht befahrbare Wehre, die umtragen werden müssen: dort gibt es aber immer sehr hilfreiche Loren (Gleiswagen), auf die man noch im Wasser das Boot aufladen kann und etwas mühsam über Schienen um das Wehr herumzieht. Einmal geht es so steil hinauf, dass man für diese Steigung gleich zwei hintereinander montierte Elektrowinden benötigt. Unseren eigenen Bootswagen brauchen wir jedoch trotzdem jeden Tag, um das Boot am Abend zum Zelten zu manövrieren.
Soweit so gut. Aber wo bleibt das Abenteuer?
Zunächst sind wir das erste Mal mit dem Boot länger als eine Nacht unterwegs. Das Einkaufen unterwegs ist sehr limitiert und deshalb haben wir immer genügend Vorräte dabei. Nach den Pfingstferien und noch vor den Sommerferien sind kaum andere Paddler unterwegs und wir sind teilweise ziemlich alleine. Die Auswahl der Nachtplätze wird noch weiter limitiert, da einige Zeltplätze wegen Corona ganz geschlossen haben. Deshalb müssen wir zweimal am Abend noch mehrere Kilometer weiter paddeln, um überhaupt übernachten zu können (dabei wird einmal unser Akku auch gänzlich leergefahren).
Abenteuerlich war manchmal auch das Wetter: wir erwischen zwei volle Regentage mit Wind, den ersten nur mit Nieselregen und den zweiten dann mit heftigen Schauern. Wir paddeln aber weiter, da wir nicht wie ein Berliner einfach das Boot liegenlassen und zwischendurch zum Abwarten nach Hause fahren können. Dabei sind wir sehr froh um unsere wärmende Neoprenkleidung und Regenanoraks. Am Abend kommt dann noch der Zeltaufbau im Nassen dazu.
Trotz allem machen dabei unsere Kinder mit 3 und 6 Jahren gut mit - und spielen nach der Ankunft auch im Regen. Das Schönste für sie war das Beobachten der Tiere und das Spielen oder Plantschen an den Nachtplätzen.
Für einen versierten Paddler ist die Rundtour trotz ihrer Länge sicher kein großes Problem, aber als Familie mit zwei kleinen Kindern schon eine gewisse Herausforderung. Außerdem sind wir ja keine Wassersportler und als Bergsteiger auf eher unbekanntem Terrain unterwegs. Auch deshalb können wir das Wort Abenteuer durchaus für diese sehr abwechslungsreiche Tour in Anspruch nehmen – ganz abgesehen davon heißt unser Boot auch „Adventure“.
Statistik: ca. 180 km Länge,bei uns im Mittel 18 km pro Tag, aber auch dreimal 27 km als Maximum. Die Nachtplätze haben im Durchschnitt 15 Euro gekostet (zwischen null und 30 Euro).Die reinen Paddelzeiten betrugen für uns zwischen 3 und 5 Stunden. Insgesamt sind wir natürlich sehr langsam unterwegs, bekommen aber dafür eine erholsame Entschleunigung fast ohne Nachrichten oder Emails.