Was ist im Corona-Sommer 2020 überhaupt noch normal? Unsere Alpenüberquerung mit den Mountainbikes war es jedenfalls nicht.
Eigentlich hatten wir in diesem Jahr eine mehrtägige Mountainbiketour gar nicht geplant: Isabella ist mit ihren 6 Jahren eigentlich schon zu groß für einen Kinderanhänger und ein Alpencross darin wäre inzwischen wohl auch zu langweilig für sie. Deshalb waren wir im Sommer vor allem beim Bootfahren, sogar in drei verschiedenen Ländern. Aber als im Herbst der Wetterbericht noch ein längeres Schönwetterfenster verspricht, wollen wir doch noch eine klassische Transalp bis zum Gardasee unternehmen.
Falls es dabei einmal regnen sollte, leihen wir uns von Freunden einen gefederten doppelsitzigen Kinderanhänger aus, in dem notfalls auch beide Kinder sitzen könnten. Diesmal starten wir jedoch noch mit einem dritten Mountainbike, nämlich mit Isabellas Kinderfahrrad. Wenn es für sie zu mühsam wird, zum Beispiel für längere Strecken bergauf, dann können wir das Rad mit einer Klemm-Verbindung an mein MTB anhängen (mit dem sogenannten „Followme“). Das klappt auf einer Tagestour, aber wir wissen noch nicht, wie das bei einer echten Transalp funktioniert oder wie Isabella ohne diese Koppelung im Gebirge zurechtkommt.
Also packen wir unsere drei Räder aufs Autodach, parken unseren PKW in Garmisch und fahren Richtung Ehrwald los. Isabella fährt selbst mit ihrem kleinen Rad tapfer, aber natürlich recht langsam bis zur Grenze nach Tirol. Dann klemmen wir ihr Rad aus Zeitgründen an mein Mountainbike und erreichen ohne Probleme unser erstes Etappenziel in Biberwier.
Dort haben wir ein Hotel vorgebucht und fragen nach der Unterbringung für unsere Fahrräder und den Anhänger: diese werden aber nicht in einer Garage geschoben, sondern direkt aufs Zimmer genommen! Das geht gut mittels einer umlaufenden Rampe im Hotelinneren über drei Stockwerke und so teilen wir unser (geräumiges) Zimmer mit unseren Rädern, wobei unsere Akkus sogar ohne Herausnehmen geladen werden können. Für unsere Kinder ist aber natürlich das Hochbett das Beste des Tages.
Am nächsten Morgen fahren wir – mit Isabella „am Haken“ - die ehemalige Römerstrasse zum alten Fernpassübergang hoch. Auf der Forststrasse ist das eine etwas wacklige und leicht instabile Angelegenheit, aber Isabella tritt fleißig mit. Hinunter fährt sie selbst, aber der steile Schotterweg ist noch eine große Herausforderung. Im Inntal geht es ab Imst auf dem geteerten Inntalradweg bis zur nächsten Übernachtung kurz vor Landeck.
Die Bundesstrasse von Landeck Richtung Reschenpass wird gerade renoviert und ist gesperrt. Unser Radweg – eine schmale Nebenstrecke am anderen Flussufer - wird deshalb auch von Einheimischen befahren und durch einen stundenweisen Einbahnverkehr geregelt. Da wir inzwischen Isabellas Rad ständig angekoppelt lassen, kommen wir deutlich schneller voran und sparen uns insgesamt sogar zwei volle Tage gegenüber dem ursprünglichen Plan ein. Die direkte, vielbefahrene Auffahrt nach Nauders und zum Reschenpasss ist normalerweise für Räder gesperrt. Aber auch hier wird gerade gebaut und umgeleitet. Die Radfahrer müssen von der alten Brücke in Altfinstermünz deshalb extrem steil bis zur Bundesstrasse fahren oder schieben, die wir dann aber allein für uns haben. Nach Arbeitsschluss um 17 Uhr wird die Sperre zwar wieder aufgehoben, aber da sind wir schon im Ort angelangt, bevor der LKW-Verkehr wiedereinsetzt. In der Nacht regnet es das einzige Mal zwar heftig, aber bis zum Morgen ist schon wieder alles trocken.
Die restliche Auffahrt bis zum Reschenpass ist problemlos, dann geht es schön auf schmalen Radwegen am Reschen-Stausee entlang. Die folgende Abfahrt hinunter nach Glurns im Vinschgau bzw. Südtirol auf kleinen Nebenstrecken ist ein einziger Genuss und eine sehr flotte Angelegenheit.
Hier müssen wir uns entscheiden: weiter auf dem einfachen, ausgeschilderten und geteerten Radweg der vielbefahrenen Via Claudia geht es noch fast 200 km zwischen Obstplantagen mehr oder weniger eben bis zum Gardasee, eingezwängt zwischen der Etsch, der Eisenbahn und der Autobahn. Das ist uns aber als Mountainbiker etwas zu wenig sportlich und abwechslungsreich. Wir biegen deshalb ab in Richtung Schweiz nach Santa Maria im Münstertal unterhalb des Ofenpasses.
Vom Ort geht es am nächsten Morgen gleich steil hinauf zum Umbrailpass, insgesamt 1100 Höhenmeter am Stück bis zur Grenze und wieder zurück nach Italien. Oben angekommen sparen wir uns den kurzen Abstecher zum nahen, aber überlaufenen Stilfser Joch und fahren gleich ins Tal zum Skiort Bormio in der Lombardei. Die Abfahrt über viele Serpentinen und Tunnels ist wieder eine große Sausse (bei der wir sogar andere Fahrzeuge überholen) und gefällt uns allen. Die Italiener setzen übrigens – wohl aufgrund ihrer leidvollen Erfahrungen – die Schutzmaßnahmen gegen Corona am konsequentesten um.
Als nächstes steht uns der bekannte Gaviapass bevor. Etwa auf halbem Weg laden wir in St. Caterina bei einer Rast vorsichtshalber unser Akkus etwas nach. Der Besitzer des Bikehotels fotografiert uns, weil er hier noch nie ein angehängtes Kinderfahrrad gesehen hat. Nach insgesamt 1500 m Auffahrt erreichen wir dann den 2600 m hohen Pass, den wir vor 5 Jahren mit Isabella schon in der anderen Richtung befahren hatten. Aber diesmal sind zwei Kinder und ein Kinderfahrrad dabei! Auch unsere dreijährige Annalena sitzt (noch mit Schnuller) mehrfach und einige Dutzend Kilometer auf dem Rad, wobei der Sattel ganz tiefgestellt werden muss.
Im südlichen Talort Ponte di Legno finden wir das nächste Quartier: hier werden unsere Räder über Nacht einfach in den unbenutzten Gastraum gestellt. Die folgende Auffahrt zum Tonalepass ist problemlos zu fahren, dann kommt wieder eine lange Abfahrt ins Trentino (insgesamt 1600 m). Ein sehr kreativer Spielplatz direkt am Fluss, ein schöner Radweg und die reifen Äpfel in den Plantagen sind Höhepunkte des Tages. Noch übertroffen werden sie von dem gemütlichen Hotel und dem typischen italienischen Dreigänge-Menü auf der Ostseite der Brenta.
Am nächsten Tag wollen wir bis zum Gardasee kommen, müssen dafür aber doch noch fast 90 km und 1000 Höhenmeter über viele steile Anstiege zurücklegen. Dann haben wir es endlich geschafft und rollen in Torbole in den Hof der uns schon bekannten Villa Emma ein, wo man sehr gut essen kann.
Nach über 400 km und 7000 Hm haben wir uns dann einen Ruhetag verdient, fahren noch nach Riva und die Ponalestrasse hinauf, baden im Gardasee und gönnen uns gleich zweimal ein gutes Eis. Ein bequemer Shuttletransport bringt uns alle samt Räder, Anhänger und Gepäck zurück nach Garmisch zum Auto. Resümee: diesmal gab es keinerlei technische Probleme,die Tour mit Kinderfahrrad war zwar nicht "normal", hat aber besser funktioniert als erwartet, die Kinder haben prima mitgemacht und wollen auch in Zukunft wieder eine Transalp und zum Gardasee fahren. D.h. Fortsetzung folgt!