Expeditionen allgemein
Berichte mit Bildern

Aus dem täglichen Leben eines Expeditionsbergsteigers

 

Teil 1: Während der Skiüberschreitung des Mt. Mc Kinley 1988

 

Am Morgen stehen wir zwischen acht und neun Uhr auf - manchmal auch spä­ter, wenn wir auf die wärmende Sonne warten. Der Schlafsack ist leicht feucht und die Zeltwände sind mit Rauhreif überzogen - we­nig später sind sie nass durchs Auftauen. Nachdem wir uns aus dem Schlafsack geschält ha­ben, ist die erste Tätigkeit meist ein dringen­der Gang vor das Zelt (wenn das nicht schon mitten in der Nacht nötig war) - ein Tribut an die große, aber notwendige Flüssig­keitsaufnahme vom Vorabend.

Dann geht es ans Frühstück: In der Thermosflasche ist noch warmes Wasser oder Tee, trotzdem muss wieder neu Schnee geschmolzen wer­den. Das Essen besteht aus selbst zusammengemischtem Müsli mit den verschiedensten Zutaten wie z.B. gemahlene Nüsse, Kokosflocken oder kleingeschnittenes Trockenobst. Dazu gibt es noch gelegent­lich ein Stück Schokolade oder Fruchtschnitte, die von der gestri­gen Tagesration übriggeblieben sind, ansonsten Tee oder Kakao.

 

Wenn die Thermosflasche wieder aufgefüllt ist, geht es ans Zusam­menpacken. Das Geschirr und die Hände werden mit Schnee gesäubert, während die übrige Morgenwäsche vielleicht nur aus Zähneputzen be­steht. Die ganze Verpflegung wird geordnet und an einem bestimmten Platz verstaut, sonst findet man sich unter all den kleinen und großen Aufbewahrungstüten nicht mehr zurecht. Bei genügend Sonne sind Schlafsäcke und Zelte bald trocken, ansonsten werden sie feucht eingepackt - eventuell musss noch der Benzinkocher neu aufgefüllt werden. Das Zusammenpacken der ganzen Ausrüstung ist jeden Tag mühsam und ziemlich zeitraubend - vom Aufstehen bis zum Losgehen dauert es in der Regel zwei Stunden.

 

Ist endlich alles beieinander, der Gang zum Klo getan, die Kleidung nochmal gewechselt, die An­seilkombination verknotet und die Sonnencreme im Gesicht, werden die Skier angeschnallt, der überschwere Rucksack geschultert, und dann kann es losgehen. Meist gibt es allerdings noch irgendwelche Verzögerungen, die Verbindung zum Schlitten wird fixiert oder es muss beim Gehen in Seilschaften auf den Letzten gewartet werden.

Mittlerweile ist es schon fast Mittag geworden. Schritt für Schritt, langsam wie eine Schnecke mit ihrem Haus auf dem Buckel geht es nun auf­wärts. Doch schon bald kommt die erste Pause: Ir­gendetwas drückt, es ist zu warm oder zu windig geworden, beim Spuren oder Schlittenziehen wird abgewechselt, ein Foto gemacht - die Marschgeschwindigkeit sinkt noch weiter herab.

 

Nach einigen Stunden ist eine größere Pause fällig. Vielleicht ist ein natürlicher Rastplatz erreicht, ein Gepäck- oder Skidepot, Steigeisen müssen angezogen werden, bzw. Hunger, Durst oder Er­schöpfung melden sich. Jetzt sitzt du auf deinem Rucksack statt umgekehrt, Schokolade und Müslischnitten kompensieren verlorene Kalorien, der heiße Tee aus der Thermosflasche wärmt von innen her. Und wenn der Körper wieder etwas Energie gesammelt hat, wird auch der Geist fähig, die großartige Umge­bung in sich aufzunehmen und zu bewundern - wenn nicht durch Nebel und Schneetreiben die Sicht gleich null ist.

 

Nach weiterer stundenlanger Schlepperei erreichen wir irgendwann am Abend das neue Lager, doch bis zum Ausruhen dauert es noch lan­ge. Erst wird ein günstiger Platz für die Zelte ausgesucht, dann ist meist noch anstrengendes Schaufeln nötig, bis eine ebene Flä­che tief im Schnee mit einer schützenden Mauer ringsum entstanden ist. Das Zeltaufbauen ist Routine, dann geht es ans Kochen, bei schönem Wetter vor dem Zelt.

Zunächst wird der Kocher vorgeheizt, das Schneeschmelzen selbst dauert ewig, endlich ist das Wasser heiß. Meist gibt es erst eine Fertigsuppe und Getränke, um den großen Flüssigkeitsverlust des Tages auszugleichen. Wenn danach ein gewisser Wasservorrat ange­legt ist, kommen eine zweite Suppe mit etwas Wurst oder Schinken sowie eine - genau rationierte - Schnitte Brot oder ein paar Kekse an die Reihe. Währenddessen surrt der Kocher ununterbrochen vor sich hin, immer wieder wird Schnee zum Schmel­zen nachgefüllt oder beim Essen einfach der Topf gewechselt. Als Höhe­punkt des Abends gibt es ein gefriergetrocknetes Menü und gelegentlich noch einen künst­lich schmeckenden Nachtisch. Ein bis zwei Becher Kakao beschließen das Abend­essen - dann ist der Magen endlich gefüllt, das Durstgefühl weg, und wir sind angenehm müde.

 

Ein letzter Gang vors Zelt - es ist inzwischen elf Uhr abends, aber im­mer noch hell: Die Abendstimmung ist phantastisch, der Himmel klar, manche Gipfel liegen noch voll in der Sonne und werden röt­lich angestrahlt, während sich unter uns eine geschlossene Wolken­decke über die Täler breitet - das muss einfach fotografiert wer­den!

Das Thermometer am Zelt zeigt minus 28 Grad Celsius, es wird wieder eine sehr kalte Nacht geben. Wir ziehen unsere wärmsten Kleider inklusive Daunenjacke an, die feuchten Innenschuhe kommen ebenso wie die Socken mit hinein in den Schlafsack - zum Schluss schaut nur noch die Nasenspit­ze heraus.

Ein anstrengender Tag ist zu Ende - und morgen beginnt dasselbe Spiel von neuem.

 

 

 

 

Everest-Expedition 1992: Erholung und Tagesablauf im Basislager

Der Mensch kann nur bis maximal 5500 m auf Dauer leben, in Höhen darüber baut er kontinuierlich ab und verliert an Substanz. Zwischen den einzelnen Vorstößen in die Höhe sind deshalb immer wieder Erholungstage im Basislager nötig. Zusammengezählt sind sie meist länger als die gesamte Aufenthaltsdauer in den Hochlagern. Ich möchte deshalb einen typischen Tagesablauf schildern.

 

Am Morgen werden wir von einem der Küchenjungen geweckt, der uns heißen Tee bringt - ein angenehmer Tagesanfang. Die Frühaufsteher unter uns treffen sich meist im Küchenzelt, weil es dort, mit einer Teetasse in der Hand, am wärmsten und gemütlichsten ist. Etwa eine halbe Stunde nach dem Early-Morning-Tea ertönt der Gong, der uns zum Frühstück ruft. Zu den verschiedenen Getränken gibt es Knäcke- oder Vollkornbrot, Chapatis, Marmelade, Honig und Käse, Müsli, Cornflakes oder Porridge, dazu meist noch ein Omelett, Pfannkuchen oder sonstige Eierspeisen. Hier können wir im Gegensatz zum Alltagsleben den Tag ohne Hektik beginnen und uns beim Frühstück Zeit lassen. In der Zwischenzeit haben die Sonnenstrahlen unser Basislager erreicht, der Rauhreif im Meßzelt beginnt zu schmelzen und für Minuten tropft es überall von der Decke.

Ruhetag heißt aber nicht etwa nur Faulenzen - es gibt immer etwas zu tun, und wenn es nur Kleinigkeiten sind. Nach der Morgenwäsche installiere ich erst einmal meine Solaranlage, vielleicht komme ich auch auf die Idee, die anderen Teilnehmer mit einer Blutuntersuchung zu piesacken oder sie mit dem berüchtigten "d 2"-Test zu stressen! Für wissenschaftliche Zwecke habe ich einen Medizinkoffer voll mit ausgeliehenen teuren Geräten mitgenommen. Meine Testserien machen ziemlich viel Arbeit und halten auch die Teilnehmer im Trab, bei denen ich mich für die Geduld und Kooperation bedanken muß.

 

Ansonsten lassen wir den Tag gemütlich angehen, lesen, fotografieren, schreiben oder führen Tagebuch. Ist es wärmer geworden, wird vielleicht eine Ganzkörperwäsche fällig, wobei mit dem warmen Wasser gleich noch Wäsche gewaschen wird. Das Ausspülen erfolgt im kalten Gletscherbach, das Trocknen über dem Zelt. Und immer gibt es etwas zu reparieren an Kleidung, Bergausrüstung, irgendwelchen Kleinteilen oder Geräten.

 

All diese Beschäftigungen werden durch das Mittagessen unterbrochen. Waren die letzten Tage recht anstrengend, kann danach trotz der langen Nacht ein Mittagsschlaf nicht schaden. Um drei Uhr ist "Teatime", eine sinnvolle Einrichtung, um den enormen Flüssigkeitsbedarf in großer Höhe auch tatsächlich zu gewährleisten. Kuchen oder Kekse lockern die Verpflegung etwas auf und helfen, den Gewichtsverlust in Grenzen zu halten. Öfters besuchen uns auch Teilnehmer anderer Expeditionen oder einzelne Trekker. Wenn wir am nächsten Morgen wieder aufsteigen wollen, muß noch die Ausrüstung sortiert und der Rucksack gepackt werden.

 

Um sechs Uhr ruft uns der Gong zum Abendessen. Im Schein von Kerzen, Gas- oder Petroleumlampen bekommen wir die Hauptmahlzeit des Tages serviert. Nach der obligatorischen Suppe gibt es genügend "Sattmacher" wie Reis, Nudeln oder Kartoffeln, dazu eine reichhaltige Auswahl an Gemüsen, Salaten oder Fleisch mit Soßen sowie einen Nachtisch. Es schmeckt, und jeder wird satt. Eine gute Küche mit abwechslungsreichem Essen ist gerade auf so einer langen Expedition eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit und Ausdauer am Berg. Der Rest des Abends vergeht mit Planung der nächsten Aktivitäten, Erzählungen, mit Gesprächen über Gott und die Welt oder mit heißen Diskussionen um kontroverse Ansichten, aufgelockert durch ein paar Scherze.

 

Liegt man dann endlich im warmen Schlafsack, beschließt vielleicht die eigene Lieblingsmusik aus dem Walkman den Tag. Vielleicht schwirren einem aber auch noch allerlei Gedanken im Kopf herum, drehen sich um den geplanten Aufstieg und Gipfel oder wandern nach Hause zu denen, die man vermißt, kreisen um Vergangenheit und Zukunft oder um den Sinn oder Unsinn des Bergsteigens und des Lebens ..., bis sie schließlich in Träume übergehen - ein Ruhetag ist zu Ende.